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Vollbeschäftigung, Fachkräftemangel – Buzzwords des Arbeitsmarkts

Vor dem Fachkräftemangel mussten die Arbeiter beim Portier warten.
Vor dem Fachkräftemangel mussten die Arbeiter beim Portier warten.

Vollbeschäftigung also.

Bereits ab 2,5 Millionen Arbeitslosen in Deutschland sprechen Experten von Vollbeschäftigung. Kennzeichnend sei, dass ungewollte Langzeitarbeitslosigkeit eliminiert sei. Sogenannte „friktionelle“ Arbeitslosigkeit, also die Sucharbeitslosigkeit zwischen zwei Jobs, gehöre zur Vollbeschäftigung dazu. Vollbeschäftigung ist also keine volle Beschäftigung, sondern liegt im Auge des Betrachters.

„Vollbeschäftigung“, „Demografischer Wandel“, „Fachkräftemangel“, gar „Notstand am Arbeitsmarkt“, das sind die Buzzwords der aktuellen Diskussionen um Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Zur aktuellen Blogparade der F.A.Z. „Wie wird die Vollbeschäftigung?“ trage ich natürlich auch etwas bei.

Disclaimer: Die erheblichen Fachkräfteengpässe in vielen Branchen sehe ich durchaus. Diese müssen deutlich benannt werden und der drohende Mangel in diesen Bereichen angegangen werden, wie es die Bundesregierung zum Beispiel im Bereich der Pflege auch mit verschiedenen Mitteln tut. Die inflationäre Nutzung der Buzzwords tun der Sache nicht gut.Wichtiger finde ich die differenzierte Betrachtung.

Modernes Fachkräftemangel-Bingo?

Meine Google-Alerts zum Wort „Fachkräftemangel“ haben die höchsten Zahlen aller abonierten Suchworte. Jedes Mal, wenn irgendwo in den – bisweilen virtuellen – Gazetten der Begriff „Fachkräftemangel“ exklamiert wurde, erhielt besagtes Sparschwein 5 Euro. Mittlerweile ist mein Sparschwein richtig angeschwollen! Virtuell zumindest. Zum Bersten voll ist es!

Bisweilen nehmen die Diskussionen skurille Züge an. Da wird ein mittelständischer Handwerksmeister interviewt und meint ernsthaft, dass er in seinem Betrieb Fachkräftemangel hätte, weil er in diesem Jahr „keine brauchbaren Bewerber für die Lehrlingsstellen“ gefunden habe. Da leidet ein Sauerländer Pflegeheim unter Fachkräftemangel, wie der Pflegedienstleiter im Interview feststellt.

Dabei ist Fachkräftemangel stets ein größeres Problem, das zumindest innerhalb einer Branche oder Region flächendeckend konstatiert werden sollte, damit der Begriff taugt.

Fachkräftemangel – Ein Bluff?

Selbst für Branchen, in denen der Fachkräftemangel bereits gesetzt zu sein scheint, wie z.B. im Ingenieurwesen oder in der Informatik, wird von Fachleuten durchaus kritisch hinterfragt, ob denn der Fachkräftemangel überhaupt existiert, oder ob er gegebenenfalls von Interessensgruppen herbeigeschrien wird. Besonders lesenswert sind dazu auch diverse Fachbeiträge im Blog von Simone Janson.

Meine These dazu lautet: Aufgrund von interessensgeleiteten Veröffentlichungen zum Fachkräftemangel, wird zurzeit für einige Berufszweige ein zukünftiges Überangebot an Arbeitskräften geschaffen, z.B. im MINT-Bereich. Svenja Hofert überschrieb das provokativ „Der große Bluff mit MINT-Geruch“.

Weniger Arbeitskräfte gleich Notstand?

Und der demografische Wandel? Zuerst einmal gibt es ihn. Und das bereits seit Jahrzehnten. Gut beschrieben und grafisch dargestellt, wie hier beim Statistischen Bundesamt.

Doch welche Auswirkungen hat er auf den Arbeitsmarkt?

Die Bundesagentur für Arbeit schreibt in ihrer Programmschrift „Perspektive 2025“, die gerne als Standardliteratur zitiert wird, das bis 2025 etwa 6 Millionen weniger Erwerbspersonen in Deutschland zur Verfügung stünden. Was dabei und in den meisten Aussagen über den demografischen Wandel allerdings außer acht gelassen wird, sind Rationalisierungsgewinne und –effekte. Seit etwa 150 Jahren werden durch technologische Entwicklungen Arbeitsprozesse rationeller; Vorgänge können mit weniger Manpower erledigt werden. Jüngst betrifft das weniger industrielle Bereiche, sondern besonders den Dienstleistungsbereich. Man denke nur an den Buchhandel und das Bankenwesen, wo durch digitale Prozesse ganze Branchen wanken. Und diese Rationalisierung von Arbeit wird weitergehen.

Meine These dazu lautet: Vielleicht haben wir 6 Millionen Erwerbspersonen weniger, aber sie werden gar nicht alle fehlen.

Qualitativer statt quantitativer Mangel

Häufig wird aus der Wirtschaft die fehlende Ausbildungsfähigkeit von Jungendlichen angemahnt. Man hört Ähnliches von Professoren, wenn es um die Studierfähigkeit von Abiturienten geht.

Arbeitgeber klagen häufig darüber, dass sie keine geeigneten Bewerber finden, obwohl sie einige zig Bewerbungen auf dem Tisch hätten. Beschäftigte teilen mit, dass Arbeitgeber kein Interesse an der Weiterbildung ihrer Mitarbeiter zeigten, Unternehmen beklagen die mangelnde Weiterbildungsbereitschaft der Belegschaft.

Alle Klagen haben etwas Gemeinsames:

Bildung scheint der Schlüssel zu Ausbildung zu sein. Ausbildung ist der Schlüssel zu Weiterbildung. Und Weiterbildung ist der Schlüssel zu Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit. Und das ist der entscheidende Faktor: Zukünftige Innovationen werden durch Bildung und Weiterbildung entstehen.

Meine These hierzu lautet: Fachkräftemangel entsteht auch, wenn es den einzelnen Fachkräften an Bildung, Wissen und Fähigkeiten mangelt. Es mangelt also eher der Fachkraft an Wissen, als der Wirtschaft an Fachkräften. Eben qualitativ. Weniger quantitativ.

Personalnot und Bewerberparadiese

Bricht zukünftig in der Personalgewinnung der absolute Notstand aus, wie vielerorts orakelt wird? Ich denke: nicht grundsätzlich. Recruiting und Stellenbesetzung wird schwieriger und aufwendiger. Die gute alte Stellenanzeige hat endgültig ausgedient. Findigere Methoden der Personalgewinnung sind gefragt: Langfristiges Employer Branding, offensives Netzwerken, vielleicht gar Systematisch Kaffeetrinken von Seiten der Arbeitgeber. Das gilt besonders für Arbeitgeber, die sich abseits der großen, attraktiven Städte befinden oder die keine Chance haben in den einschlägigen Rankings gelistet zu sein.

Und für Bewerber: Paradies und Wahlfreiheit? Jedes Jahr ein neuer Job, der besser bezahlt und höher angesehen ist? Abgesehen davon, dass das kaum jemand tun würde: Den richtigen, wirklich passenden Job zu finden, wird vielleicht einfacher. Wenn, ja wenn man die geeigneten Wege geht. Auch hier gilt zu suchen, abseits der ausgetretenen Pfade. Karriere 2.0 erfordert eh das Nutzen sozialer Netzwerke, digital wie real. Systematisch Kaffeetrinken lohnt sich auch für die Jobsuche.

Meine These lautet also: In Zeiten von Vollbeschäftigung wird Personalgewinnung nicht aussichtslos, jedoch anspruchsvoller. Das Nutzen von längerfristigen Netzwerken wird auch für Arbeitgeber notwendig, um gute Mitarbeiter zu gewinnen.

Mehr Bildung entspannt den Arbeitsmarkt

Logische Konsequenz: Gebt den Menschen mehr Zeit, Geld und Raum, sich weiterzubilden, zu lernen. Für die Weiterbildung von Fachkräften schlage ich zukünftig vor, verstärkt die sogenannte friktionelle Arbeitslosigkeit zu nutzen. D.h. zwischen zwei Jobs wird die Zeit für konzentrierte Weiterbildungsaktivitäten genutzt. Mehr denn je.

Das wird sich in Zukunft mit mehr Wettbewerbsfähigkeit auszahlen und vielleicht sogar unsere Renten sichern. ;-)

Der Autor: Lars Hahn ist der Entdecker von ‚Systematisch Kaffeetrinken‘. Hier bloggt er persönlich. Als Geschäftsführer der LVQ Weiterbildung gGmbH beschäftigt er sich mit Weiterbildung, Recruiting, Arbeitsmarktthemen, Karriereberatung und Social Media. Lars Hahn ist zu finden bei XING, Google+, Twitter und in vielen anderen sozialen Netzwerken.

Von Lars Hahn

Entdecker von 'Systematisch Kaffeetrinken'. Hier persönlich. Sonst Geschäftsführer @LVQ_Bildung. Bloggt über die Arbeitswelt, Social Media und allerlei Digitalkram.

11 Antworten auf „Vollbeschäftigung, Fachkräftemangel – Buzzwords des Arbeitsmarkts“

Hallo Herr Hahn,

Ihre These hierzu lautet: Fachkräftemangel entsteht auch, wenn es den einzelnen Fachkräften an Bildung, Wissen und Fähigkeiten mangelt. Es mangelt also eher der Fachkraft an Wissen, als der Wirtschaft an Fachkräften…

… sehe ich genau so. Fachkräfte gibt es viele. Das sehe ich jeden Tag. Aktuell nehme ich an modularen Weiterbildungen teil und anhand meiner Mitstreiter und deren Qualifikation weiß ich, dass die Fachkräfte vorhanden sind. Am Wissensmangel könnte zielgenau gearbeitet werden, nur fehlen seitens der Arbeitgeber, die einen Mangel feststellen/bemängeln Hinweise dazu, wie der Mangel heißt. Stattdessen erhält man inhaltlose 3-Zeiler, die nicht wirklich weiterhelfen. Soll heißen der ehrliche & offene kommunikative Austausch, zwischen Arbeitgeber und sich bewerbende Fachkraft, findet nicht statt. Nur wenn mir ein Mangel bekannt ist, kann ich ihn gezielt abstellen, oder?
In der Wirtschaft finden Kundenzufriedenheitsanalysen statt, um Unzufriedenheit oder Mängel abzustellen, um besser zu werden. An dieser Stelle möchte ich anfügen, dass Fachkraft nicht automatisiert ein Studium voraussetzen muss, meine Meinung!
Vielleicht sollte man dies alle mal überdenken und grundsätzlich Änderungen herbeiführen. Übrigens: Erfahrung kann man nicht weiterbilden, die muss man sich erarbeiten ;-)

Danke für den ausführlichen Kommentag, Herr Grzywotz!

Kommunikation ist der goldene Schlüssel. Wie so häufig. Ich gehe soweit, dass man das Thema Weiterbildung eben grad nicht den Unternehmen überlassen darf. Deswegen das Nutzen der Zeit zwischen zwei Jobs.
Und: Bei klassischer Bewerbung mit Vorstellungsgespräch wird immer gepokert. Gespräche sind ritualisiert, wer zuerst ehrlich ist hat verloren. Übrigens gilt das für die Personaler bedingt natürlich auch.
Systematisch Kaffeetrinken entspannt die Lage durchaus. Informelle Gespräche sind in der Regel lockerer. Bisweilen wird natürlich auch da um den heißen Brei herum geredet.
Und schließlich: Ja, Erfahrung wird am besten in der Praxis gewonnen. Bisweilen ist die Erfahrung aus Weiterbildung auch ganz hilfreich. ;-)

Kaffeehaus-Links. Diese Woche inspirierte mich … KW 182013 | Systematisch KaffeetrinkenSystematisch Kaffeetrinkensagt:

[…] ← Vorherige […]

[…] Da lese ich gerade in der Süddeutschen, dass mittelfristig über 1,4 Millionen Fachkräfte fehlen werden. Wenn wir ehrlich zu uns selbst wären (das aber sind wir wohl in den allerseltensten Fällen, wie bspw. die Gleichgültigkeit gegenüber Mode made in Bangladesh zeigt (ja, auch ich trage gerade ein T-Shirt, wo “made in Bangladesh” auf dem Etikett steht) und die zunehmende Monsantoisierung der Landwirtschaft – frei nach dem Motto: was ist nicht weiß, macht mich nicht heiß, außer meiner Tütensuppe mit gesundheitsschädlichen Zusatzstoffen vielleicht), wissen wir das schon lang und länger. Aber wir machen das so wie immer: Augen zu und durch. Deswegen kümmert sich auch kaum einer um so Dinge wie Klimaschutz. Schließlich trifft einen das nicht selbst, sondern die nachfolgenden Generationen. Auch der Fachkräftemangel. […]

[…] Unter dem Titel “EfficientRecruiting 2.0 – Effizientes Recruiting von Fachkräften im Web 2.0” wird mit der Unterstützung der Bundesregierung intensiv geforscht, welche Aussagen über die Persönlichkeit eines Bewerbers aus Profilen in den sozialen Netzwerken gewonnen werden können. Begründet wird die Notwendigkeit des Projekts unter anderem mit dem drohenden Fachkräftemangel. […]

[…] Ja, gibt‘s denn jetzt den Fachkräftemangel?  Altbekannte Zahlen legen das nahe. So stellte die Bundesagentur für Arbeit vor drei Jahren fest, dass bis 2025 das Angebot an Arbeitskräften um ca. 6,5 Millionen sinken werde. Diese Riesen-Zahl wird seitdem gerne und häufig als zu erwartende Fachkräftelücke zitiert, besonders gerne von Wirtschafts-Verbänden. Entwicklungen wie technologische Veränderungen oder Rationalisierungsgewinne werden dabei gerne völlig ausgeblendet. Meine These lautet nach wie vor:  Vielleicht haben wir 6 Millionen Erwerbspersonen weniger, aber sie werden gar nicht alle fehlen. […]

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